Devianz, Kriminalität und Disziplin im akademischen Raum des Mittelalters und der Frühen Neuzeit
![](/uploads/fe_event/konference_devianz_kriminalitat_und_disziplin_pic_97d8b3b7011f2da8cc78f41db3bd342a.jpg)
Die Konferenz zielt darauf ab, einen Austausch über Devianz, Konflikte und Disziplinierungspraktiken im akademischen Kontext des Mittelalters und der Frühen Neuzeit zu fördern. Sie richtet sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die studentische Lebenswelten, Konfliktkulturen und Disziplinierungsmechanismen im Rahmen ihrer Forschung zur europäischen Universitätsgeschichte untersuchen.
Schon die Universitäten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit hatten einen internationalen Zuschnitt. Sie zogen Studenten aus ganz Europa an. Studenten und Gelehrte sahen sich auf ihrem Reiseweg an die Universitäten und in den Universitätsstädten oft mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, die von der Beschlagnahmung ihres Eigentums bis hin zu Gefahren von Leib und Leben reichten. Kaiser Friedrich Barbarossa hatte 1158 zur Förderung und Sicherung der akademischen Mobilität die „Authentica habita“ verfügt - ein Dokument, das Aufnahme in das Römische Recht fand und den Scholaren bestimmte Privilegien gewährte, die im Laufe der Jahrhunderte immer mehr erweitert wurden.
Der Terminus „Akademische Freiheit“ (libertas scholastica) taucht in der alteuropäischen Universitätsgeschichte in mehreren Zusammenhängen auf und hatte dabei eine doppelte Bedeutung - eine rechts- und damit verbunden auch eine sozialgeschichtliche Dimension: Ursprünglich meinte ‚Freiheit‘ im akademischen Rahmen die traditionellen Privilegien und Gewohnheitsrechte der Universität als Rechtskorporation, die in der Vormoderne noch ein Personenverband war. Mit dieser korporationsrechtlichen Eigenständigkeit der Universitäten und der an ihr wirkenden Personen - Lehrende und Lernende –, für die ein exemtes, von der städtischen Gerichtsbarkeit losgelöstes akademisches Bürgerrecht (civis academicus/Universitätsverwandte) galt, aufs Engste verbunden war die Entstehung des Gelehrten als exklusiver Stand seit dem Mittelalter auf Grundlage spezifisch akademischer Privilegien.
Mit den sozialgeschichtlichen Folgen der Reformation, vor allem durch die Auflösung der älteren akademischen Ordnung - die von den Universitätsorganen reglementierten und von Magistern gewissermaßen als Internatsschulen geleiteten klosterähnlichen Wohn-, Lern-, und Lebensgemeinschaften in den Bursen und Kollegienhäusern –, entstand schließlich auch, zunächst an protestantischen Universitäten, der ‚freie‘, also der privat außerhalb der Universität in der Stadt wohnende Student, der für sich eine Reihe von Standesprivilegien beanspruchte: die im 18. und 19. Jahrhundert in der Studentenkultur begeistert besungene sogenannte „Burschenfreiheit“ oder „Burschenherrlichkeit“. Zum Sinnbild der studentischen Freiheit und des emanzipierten Studenten schlechthin wurde etwa der Degen, der zunächst Distinktionsmerkmal adliger Standeszugehörigkeit war, aber auch gewisse Habitusformen wie Provokationen, Kleidung und Liedgut. An katholischen Universitäten, die in Mittel- und Ostmitteleuropa bis zu seiner Auflösung vom Jesuitenorden und der Fortführung monastischer Lebensformen gekennzeichnet waren, vollzog sich dieser studentische Emanzipationsprozess deutlich verzögert erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts, der dann wie im protestantischen akademischen Milieu unter dem Eindruck der Französischen Revolution in eine allgemeine Politisierungs- und Zivilisierungsbewegung der Studenten einmündete.
Der in der universitätsgeschichtlichen Forschung oft als Konflikt beschriebene Gegensatz von „Town and Gown“, also zwischen Universitätsangehörigen und Stadtbürgern, bedarf einer kritischen Überprüfung: Freilich gab es einerseits im akademischen Raum sehr wohl standesspezifische Praktiken, die von den Einwohnern der Universitätsstädte als deviant wahrgenommen und abgelehnt wurden. Dabei legen die bislang dokumentierten Beobachtungen den Schluss nahe, dass ein deviantes Verhalten oftmals nur bei einer Minderheit der Universitätsangehörigen nachzuweisen ist. Andererseits waren die städtischen Bürger auf die Universität auf ein Zusammenleben mit den Universitätsangehörigen angewiesen - nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen. Es gab somit nicht nur zwei parallel existierende Gesellschaften in Universitätsstädten, sondern eben auch ein symbiotisches Miteinander.
Mit der Konferenz werden profilierte Beiträge zu diesen in der universitäts- und bildungsgeschichtlichen Forschung schon lange diskutierten Fragehorizonten zusammengeführt. Es geht den Veranstaltern in erster Linie um die Rekonstruktion von studentischen Lebenswelten und Mentalitäten innerhalb und außerhalb von lectio und collegium, um soziale Dynamiken studentischer Praktiken in chronologischer und diachroner Perspektive herauszuarbeiten. Mögliche Themen wären etwa:
- Devianzverhalten, Konflikt- und Gewaltpraktiken von Studenten (z.B. Duelle, Tumulte, Studentenauszüge, Alkoholmissbrauch, Glückspiel, Unzucht)
- soziale und juristische Disziplinierungsmöglichkeiten (z.B. durch Universitätsgerichtsbarkeit, Disziplinarordnungen, Stipendienvergabe)
- lokale Konflikte zwischen Universitätsangehörigen und städtischer Bevölkerung, aber auch mit Militärpersonen in Kriegs- und Friedenzeiten
- Vergleiche der Konfliktkulturen adliger und nichtadliger Studenten.
Bitte reichen Sie gerne Vorschläge für Vorträge (deutsch- oder englischsprachige Exposés mit maximal 3.500 Zeichen) und eine kurze biographische Notiz (Name, institutionelle Zugehörigkeit) bis spätestens 28. Februar 2025 an Prof. Dr. Matthias Asche: maasche@uni-potsdam.de ein.
Zeitlimit für die Vorträge: 20 Minuten
Konferenzsprachen: Deutsch und Englisch
Für die eingeladenen Referentinnen und Referenten werden die Kosten für die Reise und die Unterkunft übernommen, ebenso die Mahlzeiten.
Kontakt
Prof. Dr. Matthias Asche: maasche@uni-potsdam.de
![](/uploads/fe_event/konference_devianz_kriminalitat_und_disziplin_pic_97d8b3b7011f2da8cc78f41db3bd342a.jpg)