Historische Identität des mitteleuropäischen Adels im 17. Jahrhundert

konference, Pro odborníky
9. 4. 2025 – 10. 4. 2025
Prag

Die internationale Konferenz Historische Identität des mitteleuropäischen Adels im 17. Jahrhundert wird vom Historischen Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und dem Nationalarchiv der Tschechischen Republik am 9. und 10. April 2025 in Prag veranstaltet.

Die exklusive Stellung des Adels in der Gesellschaft der frühen Neuzeit war durch ihren besonderen Status gegeben, der sich aus mehreren Komponenten zusammensetzte. Eine von ihnen waren der kulturelle Hintergrund und die geteilten Werte, die sich in der Lösungsweise der Lebenssituationen sowie im Aufbau eines spezifischen Umfelds (der Lebenswelt des Adels) widerspiegelten. Eine weitere Komponente des Adelsstands war seine rechtliche Stellung, gegeben durch die Gesamtheit der Privilegien, die es den Angehörigen dieses Standes ermöglichte, sich nach eigenen Vorschriften im juristischen Bereich zu richten und sich an der politischen Macht im Land zu beteiligen. Ein dritter Distinktionscode, der den Adel von den sonstigen Ständen unterschied, waren seine Abstammung und Traditionen (Primordialität). Ihre Bedeutung ging von der Überzeugung aus, dass die Ehre ‒ dieses dominante soziokulturelle Konstrukt der frühneuzeitlichen Gesellschaft ‒ von Generation zu Generation vererbt werden kann. Die Ehre kann also schrittweise kumuliert werden, und die Familienehre stellte somit die Summe der Ehre der einzelnen Vorfahren dar, die in der Vergangenheit ihre eigenen Verdienste (Meriten) beitrugen ‒ hervorragende Taten auf friedlichem und kriegerischem Feld. Das Adelshaus stellte so die Gemeinschaft der Ahnen, der Zeitgenossen und seiner noch nicht geborenen Mitglieder dar, die zu einem Anteil am Aufbau des Familienprestiges verpflichtete.

Dank der Kumulation der Ehre des Adelsgeschlechts konnte retrospektiv die Stellung jedes Angehörigen des betreffenden Adelshauses in der Gesellschaft legitimiert werden. Ein Beweis der Verdienste und des Status der Vorfahren wurde bei der Aufnahme in exklusive Gemeinschaften (Ritterorden, Kapitel) gefordert und diente als Unterlage bei der Suche nach einem geeigneten Lebenspartner sowie für die Aufnahme in die höheren Adelsstände. Neben dieser öffentlichen Dimension der Ehre des Adelshauses ist jedoch auch auf die private Dimension hinzuweisen, denn die Ehre war Teil der eigenen Aufnahme konkreter Adligen, der von ihr seinen Wert ableitete, und deshalb gab er seine adlige Abstammung auf jede erdenkliche Weise zu erkennen, zum Beispiel durch die Bindung an seinen Stammsitz, die Repräsentation mittels des Familienwappens oder durch Verehrung der eigenen Vorfahren. Die Identität der Adligen wurde so in der Vergangenheit, in den Leben seiner Ahnen verankert, deren hervorragende Eigenschaften er nach damaliger Überzeugung geerbt hatte und an deren Vorbild er mit seinem Lebenswandel anknüpfen sollte.

Die historische Legitimierung des Adels war eine allgemeine Erscheinung, die diese Schicht der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft in ganz Europa mitdefinierte. Im durch die Länder der Habsburgermonarchie und Deutschlands definierten mitteleuropäischen Raum wies sie jedoch gewisse Spezifika auf, die durch die politische Ordnung, die religiöse Entwicklung und kulturelle Verschiedenheit gegeben waren. Eine wichtige Wende in der Geschichte der historischen Legitimierung des Adels war der Aufschwung der Schriftkultur im 15. Jahrhundert, gefolgt von der Erfindung des Buchdrucks, der den Aufbau eines neuen Typus der Öffentlichkeit ermöglichte. Der Adel geriet so unter den Druck der sonstigen gesellschaftlichen Gruppen, seine Abstammung und damit seine Ausnahmestellung mit schriftlichen Beweisen zu belegen, unter denen neben Herrscherprivilegien oder Grabinschriften genealogische Recherchen eine entscheidende Rolle spielten. Keinesfalls zufällig fiel dieser Druck mit dem Entstehen einer neuen historischen Denkweise zusammen, die der Humanismus hervorbrachte. Die Adligen entdeckten bald die Vorteilhaftigkeit der humanistischen Geschichtsschreibung und die Möglichkeiten, sie für die eigene historische Legitimierung zu nutzen, und die Humanisten fanden in den Adligen großzügige Gönner. So entstand eine beidseitig vorteilhafte Beziehung, die über die gesamte frühe Neuzeit währte und in der Barockzeit kulminierte, also kurz vor der Durchsetzung der kritischen Geschichtsschreibung der Aufklärung.

Die genannten Thesen sind an den Beispielen konkreter Adelshäuser und einzelner Adliger zu bestätigen oder zu widerlegen, für die ihre historische Legitimierung aus verschiedenen Gründen wichtig war. Davon leiten sich zahlreiche Themen der internationalen Tagung ab, die am 9. und 10. April 2025 vom Historischen Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und vom Nationalarchiv der Tschechischen Republik veranstaltet wird. Da unser Treffen interdisziplinären Charakter besitzt, sind nicht nur Historiker herzlich eingeladen, sondern auch Literaturwissenschaftler, Kunsthistoriker, Archivare oder historische Soziologen.

Insbesondere sind Beiträge zu den folgenden Themen willkommen:

  • Geschichte als Teil der Repräsentation des Adelshauses: Aufbau von Ahnengalerien, Umgang mit den Stammburgen (eponymen Burgen) und mit den Gedächtnisorten (Grablegen)
  • Vergegenständlichung der Geschichte der Adelshäuser: Umgang mit besonderen Gegenständen der materiellen Kultur, die eine Verbindung zur Familiengeschichte besaßen (Epitaphe, Liturgiegefäße, Grabausstattung der Ahnen, von den Vorfahren überlieferte Kleidungsstücke)
  • Aufbau von Familienarchiven und -bibliotheken in der frühen Neuzeit und deren Sozialgeschichte (Aufbewahrungsort, bedeutende Archivare und Bibliothekare, Nutzungsmöglichkeiten der Hausarchive und -bibliotheken, Ordnungsprinzipien)
  • humanistische Schriftsteller und Historiker als Verfasser der Familiengeschichte und ihre Bindungen zu einzelnen Adligen; Adelsgeschichte als Teil der zeitgenössischen Polemik, humanistische Korrespondenz auch als Argument in Rechtsstreitigkeiten
  • Genealogien der Adelsgeschlechter und der Umgang mit ihnen in der frühen Neuzeit, Arten und Gründe ihrer Erstellung
  • Einfluss des Buchdrucks auf die Präsentation der Geschichte des Adelshauses (Gründe und Möglichkeiten der Veröffentlichung von Genealogien, Beschreibungen der Stammsitze, Beschreibungen bedeutender Ereignisse in der Geschichte des Geschlechts usw.)
  • Ahnen- und Gemäldegalerien und deren Aufbau in den barocken Adelsresidenzen: Porträts der Ahnen und berühmte Szenen aus der Geschichte der Adelshäuser
  • Die Rolle des Wappens als Symbol der Akkumulation der Familienehre und Instrument ihrer Visualisierung
  • Ahnenlegenden und -mythen (Spezifika und allgemeine Topoi), Einfluss antiker und biblischer Motive auf die Schaffung von Ahnenmythen, Ursprungsmythos versus realer Beginn des Adelsgeschlechts, gezielte Erfindung und pragmatische Manipulation der Geschichte  
  • historische Ausbildung der Adligen, Vermitteln historischer Themen an die einzelnen Mitglieder des Adelshauses als Teil der Sozialisierung und ihre (Un)Kenntnis
  • Fehlen einer Familiengeschichte als Handicap: Bemühungen um Kompensierung eines altertümlichen Ursprungs bei neu in den Adelsstand erhobenen Familien

Call for Papers DE

Organisationsausschuss: Jiří Hrbek, Martina Hrdinová, Martin Holý, Michal Vokurka, Veronika Lešková

Konferenzsprachen: Englisch und Deutsch

Beitragslänge: 20 Minuten

Abliefertermin des Abstracts mit einer Höchstlänge von einer Textseite an die E-Mail-Adresse balbin@hiu.cas.cz: 31. Oktober 2024. Der Organisationsausschuss der Konferenz behält sich das Recht vor, die Beiträge auszuwählen. Über die Aufnahme in das Konferenzprogramm wird der Teilnehmer gegebenenfalls bis Ende November 2024 informiert.

Wir planen die Veröffentlichung ausgewählter Beiträge nach Absolvieren eines Peer Review Prozesses in der Zeitschrift Český časopis historický [Czech Historical Review], die in der Datenbank SCOPUS indexiert ist.

Internationale Tagung wird im Rahmen des Forschungsprojekts Nr. 2410417-S: Konstruktion der Adelsidentität im Werk von Bohuslav Balbín veranstaltet.

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